Um die aktuelle Situation in Syrien beurteilen zu können, sprang Herr Schneider zurück zu den Anfängen des Bürgerkriegs. Allerdings nicht direkt nach Syrien, sondern zuerst nach Washington. Er berichtete uns von einer Workshop-Reihe, die der US-amerikanische Think Tank RAND Corporation mit verschiedenen Stakeholdern durchgeführt hatte. Dabei wurden verschiedene Szenarien zur Zukunft Syriens entwickelt. Die heutige Situation Syriens entpuppte sich leider als deutlich schlimmer als im schlimmsten skizzierten „Worst-Case“ Szenario. So sind 10 Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges zwei Drittel der syrischen Bevölkerung vertrieben, wobei das eher konservative Schätzungen sind, einige Experten gehen von etwa drei Viertel der Bevölkerung aus. Das Land und die ganze Region um Syrien herum, sind massiv defragmentiert und politisch instabil. Die syrische Infrastruktur und Wirtschaft ist zu großen Teil zerstört und liegt am Boden. Zwischenzeitlich existierte ein islamisches Kalifat auf syrischem Territorium, in etwa so groß wie Großbritannien, mit mehreren Millionen Einwohnern. Die Covid-19 Pandemie und eine drohende Hungersnot sorgen weiter dafür, dass die sowieso bereits leidenden Menschen in Syrien, vor der nächsten humanitären Katastrophe stehen.
Heute, so erläutert uns Herr Schneider weiter, ist es auch nicht nur mehr der „eine“ Bürgerkrieg, sondern mittlerweile werden vier Kriege auf syrischem Boden gekämpft. So kämpft das syrische Regime gegen die türkisch unterstützte Opposition im Norden. Die Internationale westliche gedeckte Koalition gegen den Islamischen Staat. Die Türkei gegen die PKK im Nordosten und zuletzt tragen Israel und der Iran ihre Kämpfe zunehmend offen in Syrien aus.
Trotzdem hat der Konflikt an internationaler Bedeutung verloren. Die globale Politik befindet sich in einer Sackgasse in Syrien. Während Russland und der Iran mit der Unterstützung des syrischen Regimes um Bashar Al-Assad ihren Einfluss massiv steigern konnten, stehen die westlichen Länder vor Problemen. Die Beziehungen zwischen den NATO-Mitgliedsländern USA und Türkei sind, unter anderem wegen konträren Positionen in der Syrien-Frage, auf einem historischen Tief. Die Auswirkungen des Syrien-Kriegs insbesondere im Kontext der Migration, haben vor allem die europäischen Staaten vor innenpolitische Herausforderungen gestellt.
Wie sieht nun also die Zukunft Syriens aus? Dabei zeichnete Herr Schneider ein düsteres Bild. Die Lage der Menschen in Syrien wird sich wohl kurz bzw. mittelfristig nicht verbessern sondern eher verschlechtern. Allerdings verfügt der syrische Staat nicht mehr über genügend Ressourcen für eine eigenständige Kriegsführung und ist daher auf die Hilfe seiner Verbündeten – Russland und Iran – angewiesen. Trotzdem wird die sich ausbreitende Hungersnot dem syrischen Regime die Möglichkeit geben, die internationalen Hilfslieferungen als diplomatischen Hebel zu benutzen, umso die souveränen Ansprüche Assads zu untermauern.
Wir bedanken uns hiermit nochmal recht herzlich bei unserem Referenten, Tobias Schneider vom Global Public Policy Institute, für sein Engagement und seine Zeit, sowie bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für die Aufmerksamkeit und die rege Diskussion.