Bericht: Freiwilligenbataillone in der Ukraine

Sind sie Rechtsextreme und Gesetzlose - oder haben sie die Ukraine gerettet? Die Freiwilligenbataillone, die nach dem Euromaidan entstanden und wesentlich am Konflikt in der Ostukraine beteiligt waren, sind ein kontroverser und viel diskutierter Aspekt der aktuellen politischen Situation in der Ukraine. Doch wer trat diesen Bataillonen überhaupt bei, wie stark waren sie wirklich am Kriegsgeschehen beteiligt, und was ist aus den Bataillonen und ihren Mitgliedern heute geworden? Darüber diskutierte die Berliner Arbeitsgruppe für Sicherheitspolitik (BAS) am 14. Februar 2019 mit Johann Zajaczkowski und 40 Gästen.

Teilnehmer*innen (© BAS)

Johann Zajaczkowski (© BAS)

Als Experte eingeladen hatte die BAS Johann Zajaczkowski. Johann hat Politikwissenschaft und öffentliches Recht studiert und war von 2014 bis 2016 als Fachlektor der Robert-Bosch-Stiftung an der Kiew-Mohyla-Akademie tätig. Zurzeit promoviert er als Fellow der Zeit-Stiftung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn zu den ukrainischen Freiwilligenbataillonen und ihrer Transformation in politische Akteure. Dabei zeigte Johann zunächst auf, wie die Bataillone überhaupt entstanden waren. Überhaupt notwendig war die Formierung der Bataillone, da die ukrainischen regulären Streitkräfte massiv unterbesetzt waren und dem beginnenden Konflikt in der Ostukraine somit zunächst wenig entgegenzusetzen hatten. Somit begannen verschiedenste gesellschaftliche Gruppen, zunächst spontan und selbstständig Freiwilligenbataillone zu bilden: Einige bildeten sich aus Gruppen, die beim Euromaidan aktiv waren, andere wurden von ukrainischen Oligarchen gesponsert, wiederum andere entstanden aus der rechtsextremen Szene und der Hooligan-Szene in der Ukraine. Die Menschen, die sich entschieden, den Bataillonen beizutreten, kamen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten und Gruppierungen. Auffällig ist, dass zwar auch Menschen mit gebrochenen Biographien die Möglichkeit nutzten, den Bataillonen beizutreten, viele der Freiwilligen aber einen “gutbürgerlichen” Hintergrund vorweisen konnten - so hatte die Hälfte einen universitären Abschluss und über drei Viertel keine vorherige Kampferfahrung. Ein Hauptgrund dafür, dass diese sich in den Freiwilligenbataillonen und nicht in der regulären Armee engagierten, war die extrem schlechte Reputation der Armee, vor allem der in der Sowjetunion ausgebildeten Generalität, welcher der Ruf nach hing, Untergebene sinnlos auf dem Schlachtfeld zu verheizen. Geführt wurden die Bataillone oft von charismatischen Entrepreneurstypen, von denen sich einige auf dem Maidan als Führungspersönlichkeiten profiliert hatten.

Während der Hochphase des Konflikts in der Ostukraine spielten die Freiwilligenbataillone eine bedeutende militärische Rolle, so Johann weiter. Ihre Einbindung in die Kommunikationsstrukturen der Streitkräfte war zu Beginn oft schlecht, auch wenn viele Bataillone später formal einer oder mehreren Regierungsinstitutionen unterstellt waren. Kooperation mit der Armee fand anfangs auf einer Ad-Hoc-Basis statt, etwa weil es der Armee an vielen Ausrüstungsgegenständen, nicht aber an Munition mangelte, während die Freiwilligen oft über selbst gekaufte oder gespendete moderne Ausrüstung, aber wenig Munition verfügten. Daher suchten sich die Bataillone oft ihre eigenen Ziele und entschieden sich etwa, ein Dorf zurückzuerobern, ohne dass dies in eine Gesamtstrategie eingebettet wesen wäre. Entscheidungen für solche Operationen wurden im Gegensatz zu den streng hierarchischen regulären Streitkräften oft basisdemokratisch getroffen. Die Rolle der Bataillone änderte sich mit dem massiven eingreifen russischer Spezialtruppen in der Ostukraine. Diese setzten schweres Gerät ein, dem die leicht bewaffneten Freiwilligenbataillone wenig entgegenzusetzen hatten. Nach dem Minsk-II-Abkommen verloren die Bataillone dann stark an Bedeutung, zogen größtenteils von der Front ab und wurden nun hauptsächlich zur Bewachung kritischer Infrastrukturen im Inland eingesetzt.

 

Danach, so Johann, zerfaserte die Freiwilligenbewegung. Genau Zahlen zu Beteiligten und Gefallenen zu finden, ist schwierig, man geht von etwa 4.000 Todesfällen in den Bataillonen aus, davon etwa 1.600, die außerhalb des Kampfgeschehens starben (etwa durch Gewalt unter den Freiwilligen, Unfälle, unsachgemäßen Waffengebrauch und Suizid). Ein Teil der Freiwilligen wurde in die regulären ukrainischen Sicherheitskräfte integriert, etwa die Armee oder die Nationalgarde (die auch zur inneren Sicherheit, beispielsweise bei Demonstrationen, eingesetzt wird). Ein weiterer Teil versuchte, ihre Kampferfahrung anderweitig einzusetzen. Einige gründeten Sicherheitsunternehmen, andere begannen kriminelle Laufbahnen, wobei die Übergänge hier oft fließend sind. So gibt es immer wieder Morde an zivilgesellschaftlichen Akteuren, die ehemaligen Mitgliedern der Freiwilligenbataillone zugeschrieben werden. Wieder andere Freiwillige gingen in die Politik und sind beispielsweise mit mehreren kleineren Gruppierungen im ukrainischen Parlament vertreten. Interessanterweise wurde dieses von anderen Mitgliedern der Bataillone oft als Verrat an der Sache empfunden, da sie das Gefühl hatten, von den politisch Aktiven zurückgelassen zu werden. Mehrere rechtsextreme Freiwilligengruppen sind außerparlamentarisch aktiv, teils mit gewaltfreien Kampagnen, teils aber mit direkter Gewalt. Die Kampagnen der Rechtsextremen richten sich hauptsächlich gegen Gruppen, die von ihnen als “feindlich” eingestuft werden - unter anderem gegen Linke, Drogendealer, angebliche Pädophile und gegen Menschen, die sich für LGBTQI-Rechte einsetzen. Auch ist der Versuch zu erkennen, die ukrainische Geschichte “umzuschreiben” und rechtsextreme Vergangenheiten in den Mainstream ukrainischer Gedenkkultur aufzunehmen.

 

Die Reintegration in die Gesellschaft ist schwierig. Über zwanzig Prozent der ehemaligen Freiwilligen leiden unter Posttraumatischer Belastungsstörung, es gab mindestens 1.000 Selbstmorde. Auch wenn einige wieder in die “normale” Gesellschaft zurückgekehrt sind, gibt es viele Fälle, die nach der Rückkehr keine Arbeit mehr fanden und am Existenzminimum leben. Generell erleben sie oft Misstrauen, da die ukrainische Gesellschaft oft keinen Weg findet, wie mit Menschen mit Gewalterfahrung umgegangen werden kann. Was dies langfristig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Ukraine bedeutet, ist heute noch nicht abzusehen.

 

Die BAS dankt Johann für den spannenden Vortrag, sowie allen Gästen für die Teilnahme und die engagierte Diskussion.